Project Description

Der Tanz mit dem Leben

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„Ich war ein verborgener Schatz

und ich sehnte mich danach,

erkannt zu werden,

und so erschuf ich die Welt“

Hadith

 

Als ich, in den späten fünfziger Jahren, alt genug war, meine Mutter auf meinen eigenen Beinen auf Wegen außerhalb des Hauses zu begleiten, begann sie mir beizubringen, jedes Mal ein Gebet im Herzen zu sprechen, wenn wir einer schwangeren Frau begegneten. Für eine glückliche Geburt, und damit es dem Kind und der Frau gut gehe. Durch die Art und Weise, wie meine Mutter mir dies näherbrachte, entwickelte sich in mir schon ganz früh eine besondere Achtung vor jeder Frau, die schwanger war, gleichgültig ob ich sie kannte oder nicht. Ich spürte, dass es etwas ganz Heiliges war, was sie umgab und fühlte gleichzeitig, dass es Gottes Gnade bedurfte, damit dieses Heilige tatsächlich geschehen konnte. Darum war das Gebet wichtig.

Die Frauen mit den gewölbten Bäuchen leuchteten in einem besonderen Licht, das sie schon in meiner kindlichen Wahrnehmung als einer- seits unendlich verletzlich und zart, andererseits aber als sehr kraftvoll und wie in einem geheimen Bund mit Gott verschworen erscheinen ließ. Einige Jahre später wurde es dann sehr verwirrend für mich, dass für andere Menschen diese Frauen sich „in anderen Umständen“ befanden – etwas, das man zu jener Zeit fast nur hinter vorgehaltener Hand aussprach. Warum war die Quelle des Lebens etwas, worüber man gar nicht oder nur „umständlich“ sprach und was man nur verschämt aus dem Augenwinkel bemerkte oder betrachtete?

Warum feierte man das nicht, und warum sahen diese Frauen manchmal so traurig aus? Ja, es schien ein Mysterium zu sein, aber doch so voller Leben und Versprechen – und so konkret.

Ich fühlte ein stilles Bündnis mit meiner Mutter, das über das Mutter- Kind – Verhältnis hinausging. Wir beide teilten ein Wissen, das für mich trotz der scheinbar wenigen Mitglieder in unserem Bund ohne Zweifel sehr real und authentisch war. Wir hatten direkten Zugang zu etwas absolut Heiligem, zum Leben selbst!

Irgendwo wusste ich, dass ich Teil hatte an der Magie der Schöpfung, fühlte mich vertraut mit dem Zauber, den es bedeutete, dass eine Seele in die Welt kommen und physische Gestalt annehmen kann. Jedes Kind hat zunächst eine Erinnerung daran, wo es herkommt. Das Wissen um die Tatsache, dass wir aus dem Licht, aus einer anderen Welt in diese Welt treten und diese physische Welt hier nicht als einzige existiert, ist für Kinder nicht außergewöhnlich.

Doch darüber hinaus wurden mir damals die Augen geöffnet für die einfache, aber vergessene Wahrheit, dass das Leben ein weibliches Mysterium ist, an dem die Frauen in besonderer Weise beteiligt sind. Sie sind es, die um das Geheimnis wissen und es leben.

Frauen wissen von dem Licht, das alle Materie durchzieht und von innen her durchdringt. Sie haben es in ihrem Blut, auch wenn sie abgeschnitten wurden von einem Bewusstsein, das die Weisheit über die Einheit des Lebens umfasst. Sie wissen, wie das Licht in der Materie mit allem Geschaffenen kommuniziert. Sie wissen um die Verbundenheit und Bezogenheit innerhalb allen Lebens. Tief in ihrem Inneren hat die Frau das Wissen um die wirkliche Sprache, die Bewegung, den Tanz des Lebens und um seine Ganzheit.

Nun ist es an der Zeit, dass wir dem Leben die Musik zurückgeben können, nach der es aufs Neue erwachen und tanzen möchte. Wenn die Frauen das Licht jenes Wissens um die Einheit, das sie in ihren Zellen tragen, dem gesamten Bewusstsein der Schöpfung zurückgeben, kann das Leben wieder heilen und kann wieder beginnen zu singen. Wir erkennen erneut, wie wir mit dem Leben tanzen können, statt gegen es zu kämpfen.

Die Energie des Lebens fließt durch ein Netz von unendlich vielen Verbindungen, und der Mensch kann zu diesen Verbindungen einen Kontakt herstellen und darauf einwirken, so dass die Lebensenergie frei strömen und über dieses Netz jedes Teil innerhalb des Ganzen erreicht werden kann.

Wenn wir dem Leben das Bewusstsein der Einheit wieder zurückgeben und dieses Bewusstsein sich durch das Netz des Lebens offenbart, so kann das Leben selbst wieder seine Weisheit und seine heilende Kraft entfalten.

Frauen tragen in sich das instinktive Wissen von jenem Netz, von den wechselseitigen Beziehungen innerhalb des Lebens und von der Einheit von Materie und Geist. Sie sind es, die einen wichtigen Beitrag leisten können, damit sich eine neue Ära im Bewusstsein der Menschen entfalten und unsere Welt ein neues Gleichgewicht finden kann.

Was wir dem Weiblichen angetan haben, wurde gleichzeitig dem Leben zugefügt. Beides kann zusammen heilen, und die Frauen stehen im Zentrum einer bestimmten Arbeit, zu der jeder mit Hilfe seines Bewusstseins beitragen kann.

Die Frauen können, die Frauen dürfen sich erinnern. Die Welt ruft danach. Doch sie müssen es selbst tun, niemand anders kann es für sie tun. Sie benötigen den Mut und das Zutrauen, das sie nur im eigenen Herzen finden können, um sich von den alten Mustern zu lösen und die Rückzugsorte, die Täler der Tränen und die Schlachtfelder der Selbstbehauptung zu verlassen. Ihre wirkliche Befreiung ist die Befreiung aus dem Nebel, der sie so lange Zeit schon bedrückend umhüllt, einsperrt und vom Licht des Weiblichen in der Schöpfung trennt.

In dieses klare Licht zurückzutreten, sich wieder zu erinnern und wieder aufrecht die Würde des Weiblichen zu tragen, ist ein großer Schritt innerhalb jenes Beitrags, den die Frauen für die Heilung der Welt zur Verfügung stellen können.

Wenn Frauen sich der Magie des Lebens und der Geheimnisse des göttlich Weiblichen wieder erinnern, beginnen sie, dieses Bewusstsein überallhin wo sie sich aufhalten mitzunehmen. Sie reflektieren dieses Licht.

Sie können es für sich in der Stille leben, und sie können es mit sich hinaustragen und in ihre Arbeit einweben, ob im Beruf oder in der Familie. Der wichtige Schritt aber ist, sich selbst wieder damit zu verbinden. Alle weiblichen Qualitäten wie Fürsorge, Kreativität, in Beziehung stehen, Vernetzung und Verbundenheit mit der Erde, werden sich von selbst weiter entfalten, wenn eine Frau sich körperlich, seelisch, geistig und spirituell wieder mit ihrem eigenen Potenzial in der Erinnerung an das Göttliche verbindet.

Obwohl jede Frau diese Weisheit in sich selbst wiederfinden muss, ist es hilfreich, einen gemeinsamen weiblichen Raum aufzusuchen. Dies kann auf der inneren Ebene genauso geschehen wie auf der äußeren. Das Weibliche in uns weiß auch, dass Innen und Außen nicht wirklich getrennt sind und letztlich zu derselben Realität gehören. Darum ist es auch nicht verschieden zu bewerten, es schwingt einfach nur in unter- schiedlichen Frequenzen. Das Leben tanzt zwischen beiden Räumen, und es benötigt beide Räume.

Es gibt ein inneres Verbindungsnetz zwischen allen Frauen, innerhalb dessen die weibliche Weisheit, nach der das Leben verlangt, fließt. Frauen können wieder lernen, dieses innere Netz aufzusuchen und sich auf den beständigen Fluss darin einzuschwingen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn Frauen die künstlichen Trennwände wieder abbauen, die sie zwischen sich und anderen Frauen akzeptiert oder selbst errichtet haben. Nur wenn Frauen Rivalität und Wettbewerb, was für das Männliche stimmig und wesensnah, für Frauen aber eher einer Anpassung an das Männliche entspringt und gepaart mit weiblicher Macht eine sehr zerstörerische Qualität annehmen kann, hinter sich lassen, können sie den Zugang zum inneren Energiefluss zwischen Frauen wiederfinden.

Angela Fischer

aus: Frau sein – sensibel und stark. Mit der Kraft weiblicher Spiritualität das Leben neu gestalten. (Crotona Verlag, 2010) Auszug aus: Der Tanz mit dem Leben